Buchempfehlung
Against the Machine, on the Unmaking of Humanity
Paul Kingsnorth | 2025 | Particular Books (Penguin Random Hous publishing group) | ISBN: 978-0-241-78840 -0
Im September erschien ein Sachbuch, das ein überraschend grosses Publikum gefunden hat und von vielen Rezensenten hoch gelobt wurde: «Against the Machine» von Paul Kingsnorth. Das Buch ist derzeit nur auf Englisch erhältlich. Der britische Autor, Historiker, Poet, Umweltaktivist Ex-New Ager und frisch konvertierte orthodoxer Christ Kingsnorth bezeichnet das Werk, das solche Begeisterungsstürme auslöste, als sein «Opus Magnum».
«Against the Machine» verbindet Erkenntnisse aus 30 Jahren scharfsinniger Beobachtung der Gegenwart mit einer umfassenden Analyse der Menschheitsgeschichte. Kingsnorth fokussiert dabei auf die Ideengeschichte, die Philosophie und die Spiritualität der unterschiedlichen Epochen und setzt sie in den Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und spirituellen Phänomenen. Er vermittelt diesen komplexen Stoff in einem wunderbar lebendigen Schreibstil und schenkt den Leserinnen und Lesern einen reichhaltigen Schatz an Zitaten epochenprägender Denker und Autorinnen – von Plato über Augustin, Marx, Simone Weil bis zum Kultfilm «Matrix».
Das Werk ist ein Aufruf zur tiefen persönlichen Reflexion und ultimativ auch zum dezidierten Widerstand gegen «die Maschine». Es beschreibt aber auch das zähe Ringen des Autors, überhaupt zu definieren, was diese Maschine ist, weshalb man sie bekämpfen sollte – und mit welchen Waffen.
Die Maschine ist für Kingsnorth ein Sammelbegriff für ungehemmten Wachstumsglaube, für unkontrollierten Technologieboom, für eine gesetzlose künstliche Intelligenz, einen lebensverachtenden Kapitalismus, u.v.m. Es ist eine furchterregende Macht, die schwer zu beschreiben ist, von der wir alle intuitiv – oder durch den Heiligen Geist gelenkt – fühlen, dass sie unser Leben und unser Verständnis des Menschlichen überhaupt redefiniert. Diese Macht hat den Anspruch, die Welt zu kontrollieren; gleichzeitig entfremdet sie uns von unseren Wurzeln, von der Natur, von der Gemeinschaft, von Gott…
Das «Menschliche» wird als Gegenbegriff zum «Technischen» verwendet. Die Wertung der beiden Begriffe hat gerade in den letzten Jahren eine enorme Verschiebung erfahren. Das Menschliche wurde immer mehr seiner ganzheitlichen Bedeutung beraubt und in der tonangebenden westlichen Gesellschaft zunehmend als negativ, fehleranfällig und hohl gewertet. Währenddessen erreicht das Technische unter dem Einfluss eines uneingeschränkten und unkritischen Glaubens an die Wissenschaft eine positive Konnotation, die historisch beispiellos ist. Man spricht hier von einem «technologischen Solutionismus» – dem Glauben, dass jedes Anliegen (auch unsere kulturellen, sozialen, religiösen und politischen Anliegen) als «Probleme» gefasst werden könnten, für die es eine technische Lösung, eine App, einen Algorithmus gibt, um es zu «lösen».
Paul Kingsnorth liefert eine scharfsichtige Betrachtung erschreckender Entwicklungen. Aber er inspiriert auch durch seine Entschlossenheit, uns zum Überleben zu ermutigen. Der Autor lebt seit einigen Jahren die meiste Zeit des Jahres mit seiner Familie so einfach und autark wie möglich in seinem kleinen Bauernhaus irgendwo im ländlichen Irland. Gleichzeitig hat er sich einer kleinen Gemeinde orthodoxer Christen angeschlossen, die ihm mit ihrer Liturgie, ihrer Mystik und Ritualen einen neuen Zugang zu den tiefen Wurzeln des Menschseins schenkt, nach denen er sich sehnt.
Es ist diese für das wahre Menschsein unabdingbare Verwurzelung von der die grosse französische Philosophin Simone Weil spricht – das für mich vielleicht schönste Zitat in Kingsnorths Buch:
“Verwurzelt zu sein ist vielleicht das wichtigste und am wenigsten anerkannte Bedürfnis der menschlichen Seele. Es ist auch eines der am schwersten zu definierenden Bedürfnisse. Ein Mensch hat Wurzeln aufgrund seiner realen, aktiven und natürlichen Teilnahme am Leben einer Gemeinschaft, die bestimmte besondere Schätze der Vergangenheit und bestimmte besondere Erwartungen an die Zukunft lebendig bewahrt... Jeder Mensch braucht mehrere Wurzeln. Es ist notwendig, dass er fast sein gesamtes moralisches, intellektuelles und spirituelles Leben aus dem Umfeld schöpft, dem er ganz natürlich angehört.”
Neben all dem Lob, ist vielleicht doch auch ein kritisches Wort angebracht. So wird Kingsnorths These wirklich als Auftakt für ein konstruktives Gespräch ernst genommen. Das von ihm beschriebene Feindbild der „Maschine“ beinhaltet ein dermassen breitgefächertes Sammelbecken von Phänomenen (Kapitalismus, Bürokratie, Künstliche Intelligenz, die Pyramiden usw.), das genauso gut einfachhin vom „lebensverachtenden“, vom „Bösen“ gesprochen werden könnte. Trotz aller Sympathie, gegen „das Böse“ zu sein, wird das Konzept dadurch derart ausgeweitet, dass eine genauere Analyse und Einordnung äusserst unterschiedlicher Phänomene eher erschwert wird. Die Differenzierung zwischen kulturell positiv zu wertenden Entwicklungen und deren Gegenteil droht von der „Maschine“ übergangen zu werden. Zuweilen läuft seine Kritik nämlich auf eine Fundamentalkritik von Kultur überhaupt aus. Dabei läuft die Geschichte der Bibel doch sehr wohl von einem Garten auf eine Stadt (wenn auch diese Stadt ein schöner Stadtgarten sein darf) hinaus. Insofern gilt es, keine falsche Romantik zu kultivieren und unser Kulturmandat mutig, kreativ und hoffnungsvoll wahrzunehmen. Freilich ohne aus unseren Projekten einen Turmbau zu Babel entstehen zu lassen.